Lachgas zum Schmerzmanagement unter der Geburt.
Lachgas ist eine beliebte Intervention unter der Geburt, die Schmerzen schnell und nebenwirkungsarm lindern soll. Doch was ist dran? Wie ist die Verwendung, was sind Vorteile von Lachgas und gibt es Nachteile?

Um die Geburt ein wenig erträglicher zu machen, gibt es mittlerweile einige Hilfsmittel, auf die die moderne Medizin zurückgreifen kann. Eines davon ist Lachgas. Zum erstem Mal davon gehört habe ich in meinem Geburtsvorbereitungskurs. Lachgas. Hört sich irgendwie harmlos an. In der mormonischen Religion, die Kaffee, Tattoos oder Alkohol verbietet, ist es Lachgas ein erlaubter Zeitvertreib (so zu sehen z. B. bei The Secret Lives of mormon wives).
Aber was ist Lachgas und wofür wird es verwendet?
Der chemische Ausdruck für Lachgas ist Distickstoffmonoxid oder N2O. Es ist ein medizinisches Gas, welches für das Schmerzmanagement zum Beispiel bei Zahnarztbehandlungen oder eben unter der Geburt eingesetzt wird. In anderen Zusammenhängen wird das Gas für die Antriebstechnik, als Treibmittel in der Nahrungsindustrie oder als Kühlmittel benutzt. In der Medizin bekommen Patient/innen nie reines Lachgas, sonders es wird als Mischung mit Sauerstoff dargereicht. Dabei ist der Anteil von N2O auf maximal 70% begrenzt. Medizinisch gesehen gehört Lachgas zu den Analgetika. Das sind Arzneimittel mit schmerzlindernden Eigenschaften. Zu diesen Analgetika gehören beispielsweise auch Paracetamol und Ibuprofen, welche die meisten aus dem heimischen Medizinschränkchen kennen. Aber auch starke Opiate wie Morphin zählen in die Gruppe dieser Betäubungsmittel. Lachgas ist ein systemisches Analgetikum, was bedeutet, dass es nach der Inhalation im ganzen Körper wirkt. Die Gebärende kann sich das Gas selbst verabreichen, in dem sie eine Atemmaske auf- und absetzt.
Vorteile von Lachgas
wenig Nebenwirkungen für die Mutter.
Eine der wichtigsten Übersichtsarbeiten zum Einsatz von Lachgas in der Medizin stammt aus dem Jahr 2007. Sie untersucht das Schmerzmittel auf Nebenwirkungen z. B. während Operationen in der Zahnmedizin. Die Review sieht sich dabei mehr als 140 Forschungsarbeiten an. Kurz zusammengefasst kommt sie zu dem Schluss, dass Lachgas ein sehr sicheres Arzneimittel ist. Bei der Einschränkung auf diejenigen Studien, die als qualitativ hochwertig eingeschätzt werden, finden die Autor/innen bei gerade einmal 23 von 36.000 Patient/innen Nebenwirkungen. Zu diesen zählen Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel und als unangenehm empfundenen Halluzinationen (Collado et al. 2007). Insgesamt gilt Lachgas als eher nebenwirkungsarm. Ein wenig relativiert wird dies meiner Meinung nach durch eine aktuellere Studie aus dem Jahr 2014, die gezielt auf Gebärende eingeht. Hier finden sich deutlich häufigere Nebenwirkungen: 13% der Frauen, die Lachgas während der Geburt erhalten, mussten sich übergeben. 5% fühlten Schwindelgefühle oder Benommenheit und bis zu 18% gaben an, dass sie sich in ihrer Aufmerksamkeit eingeschränkt fühlten (Lykis et al., 2014).
keine akuten Nebenwirkungen auf das Neugeborene.
Es gibt eine Cochrane Review aus dem Jahr 2012 zu Nebenwirkungen von Lachgas auf Neugeborene. Cochrane Reviews haben in der medizinischen Forschung ein sehr hohes Ansehen. Das Netzwerk ist für Studien von sehr hoher Qualität bekannt und immer sehr vorsichtig in den Analysen und vor allem den Schlussforderungen. Die Review betrachtet 26 klinische Studien mit fast 3,000 Patientinnen. Während der Geburt bekommen diese entweder Lachgas, andere gasförmige Analgetika, ein Placebo-Gas ohne Wirkung oder gar keine Behandlung. Die Review findet keine Anhaltspunkte, dass die Nutzung von Lachgas die Geburt oder das Neugeborene negativ beeinflussen. Sie finden keine Unterschiede zwischen den Babys von Müttern, die Lachgas während der Geburt erhalten zu denjenigen, die ein Placebo oder keine Behandlung bekommen. Die untersuchten Kriterien sind der APGAR-Wert (ein Punkteschema, mit dem jedes Baby im Krankenhaus bewerten wird), die Kaiserschnittraten und die Häufigkeit von Zangen- oder Saugglockengeburten (Klomp et al., 2012).
Lachgas ist flexibel einsetzbar.
Das Gas kann während des gesamten Geburtsvorgangs, also in jeder Phase der Geburt verwendet werden. Außerdem behält die Gebärende die Kontrolle über den Einsatz. Setzt sie die Atemmaske auf, setzt die betäubende Wirkung sehr schnell ein. Wird die Inhalation gestoppt, verlässt das Gas den Organismus innerhalb kurzer Zeit wieder, so dass auch die Wirkung abklingt. Außerdem können sich die Frauen, anders als bei anderen Interventionen wie z. B. einer PDA, bei der Geburt weiterhin frei bewegen. Somit ist auch hier eine größere Flexibilität möglich. Ein weiterer Vorteil, für das Lachgas musst Du nicht auf einen Narkosearzt warten. Es steht im Kreissaal in der Regel schnell zur Verfügung und Hebammen oder Krankenschwestern können Dir den Zugang dazu geben.
Lachgas lenkt den Fokus auf den Atem.
Das Gas wird mit Hilfe einer Atemmaske inhaliert. Die Empfehlung ist, das Gas mindestens für 30-45 Sekunden vor einer Wehe zu inhalieren, um einen schmerzlindernden Effekt zu erreichen. Das medizinische Personal kann Dir dabei helfen, richtig zu atmen. Der Fokus auf den eigenen Atem während der Wehen und das bewusste Ein- und Ausatmen können zusätzlich dazu beitragen, den Wehenschmerz erträglicher zu machen.
Was sind die Nachteile von Lachgas?
Die Effektivität der Schmerzlinderung ist unklar.
Verglichen mit anderen Interventionen während der Geburt, scheint Lachgas eine geringe Effektivität in der Schmerzlinderung zu haben. Eine recht aktuelle Studie aus dem Jahr 2020 untersucht 463 Frauen, die während der Geburt Lachgas erhalten. 31% dieser Frauen wechseln nach der Inhalation von Lachgas zu keiner anderen Maßnahme, um die Geburtsschmerzen zu lindern. Im Umkehrschluss nehmen 69% der Frauen, also mehr als 2 von 3 weitere Interventionen an. 91% dieser Frauen erhalten im Anschluss an die Gabe von Lachgas eine Periduralanästhesie (PDA). Bei der Frage, warum sie sich für einen Wechsel entschieden haben, geben fast alle Frauen an, dass die Schmerzen trotz des Lachgases zu stark waren. Interessant ist auch, dass diejenigen Frauen, die früh während des Geburtsprozesses mit der Einnahme von Lachgas beginnen, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, weitere Interventionen (wie eine PDA) zu ergreifen (Nodine et al., 2020). Auch eine andere Forschungsgruppe findet keine Verbesserung des durchschnittlichen Schmerzempfindens während der Geburt nach der Gabe von Lachgas (Sutton et al. 2017).
Gesundheitliche Folgen für das Klinikpersonal
Einige (wenn auch schon ältere) Studien deuten daraufhin, dass ein dauerhafter Kontakt mit Lachgas negative Auswirkungen haben kann. Dies gilt vor allem für Personal im Gesundheitswesen, wie Hebammen, Ärztinnen und Krankenpflegerinnen im Kreißsaal. Der häufige Kontakt mit N2O scheint mit einem höheren Risiko für Fehlgeburten und einer geringeren Fruchtbarkeit in Zusammenhang zu stehen. Auch gibt es Anhaltspunkte, dass Lachgas die DNA schädigen kann und den Stoffwechsel sowie den Folat-Kreislauf stört (zusammengefasst z. B. von Vallejo und Zakowski, 2019). Ab welchen Konzentrationen und Häufigkeiten des Kontakts mit dem Gas negativen Effekte auftreten ist unklar. Hier sind weitere Untersuchungen nötig.
Unklare Langzeitfolgen für das Neugeborene.
Wie oben beschrieben, finden sich derzeit keine Belege, für eine Verschlechterung des APGAR-Wertes von Neugeborenen durch Lachgas. Trotzdem ist belegt, dass das Gas die Plazenta durchdringt und bei einer 1 bis 3-stündigen Exposition, also wenn die Mutter das Gas für einen längeren Zeitraum inhaliert, kann nachgewiesen werden, dass bestimmte Stoffwechelvorgänge verlangsamt oder ausgeschalten werden. Ob und inwiefern dies potentiell Auswirkungen auf das Neugeborene hat, ist unklar (siehe zum Beispiel bei Vallejo und Zakowski, 2019). Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin äußert außerdem Bedenken, da einige Tierexperimente negative Auswirkungen von N2O auf die Gehirnentwicklung zeigen. Ob und wie sich diese Ergebnisse auf Menschen übertragen lassen, ist bisher nicht erforscht.
Lachgas ist ein Klimasünder.
Möchte man ausdrücken, wie klimaschädlich ein bestimmter Stoff ist, ist die Maßeinheit dafür das CO2-Äquivalent. Die Wirkung eines Gases wird also mit der Wirkung von CO2 verglichen. Das CO2-Aquivalent von Lachgas liegt je nach Quelle bei 250 bis 300 über 100 Jahre. Das bedeutet, über 100 Jahre gesehen ist Lachgas 250-300 Mal schädlicher für das Klima als Kohlendioxid. Auch hat N20 einen schädlicheren Effekt auf die Ozonschicht als die bekannten FCKW-Gase.
Zusammenfassung
Wie Du gesehen hast, hat Lachgas verschiedene Vor- und Nachteile. Es ist flexibel und stört den „normalen“ Geburtsablauf nur wenig. Außerdem scheinen die unmittelbaren Nebenwirkungen gering. Dem entgegen stehen erste Anzeichen für Langzeitfolgen, eine eher geringe Wirksamkeit in der Schmerzlinderung und eine ziemlich miese Klimabilanz. Wichtig ist: lass Dich gut vom medizinischen Fachpersonal beraten und frage am besten immer, welche weiteren Optionen zur Verfügung stehen.
Übrigens: Auch die besten Informationen ersetzen keine medizinische Beratung. Die hier zur Verfügung gestellten Inhalte dienen einem Bildungszweck. Vor und während der Geburt hast Du das Anrecht auf medizinische Versorgung und die Unterstützung durch Hebammen und Geburtsmediziner/innen.
Du hast Fragen zu dem Artikel? Etwas ist Deiner Meinung nach nicht richtig dargestellt oder falsch zitiert? Du hast Anregungen zu weiteren Themen? Lass es mich gerne wissen 🙂 !
Quellen:
Collado, C., Nicolas, E., Faulks, D. and Hennequin, M. (2007): “A review of the safety of 50% nitrous oxide/oxygen in conscious sedation”, in: Expert Opin. Drug Saf., vol. 6, no. 5, pp. 559–71, Sep. 2007.
Klomp, T., van Poppel, Jones, L. et al. (2012): „Inhaled analgesia for pain management in labour“, in: Cochrance Database of Systematic Reviews, 9: CD009351.
Likis, F.,E., Andrews, J. C., Collins, M. R. et al. (2014): “Nitrous oxide for the management of labor pain: A systematic review.”, in: Anesth Analg 118: 153–167
Sutton, C. D., Butwick, A. J., Riley, E. T., and Carvalho, B. (2017): „Nitrous oxide for labor analgesia: Utilization and predictors of conversion to neuraxial analgesia“, in: Journal of Clinical Anesthesia. (2017) 40, 40–45,
Vallejo, M. C. and Zakowsko, M. I. (2019): Pro-Con Debate: Nitrous Oxide for Labor Analgesia, in: BioMed Research International, August 2019.
Onlinequellen:
Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG): „Einsatz von Lachgas zur Schmerztherapie unter der Geburt“, Link: https://www.dgai.de/aktuelles-2/194-stellungnahme-lachgas-in-der-geburtshilfe/file.html#:~:text=Als%20nachteilig%20empfunden%20werden%20die,Halluzinationen%20(bis%20zu%201%25). Abruf 02.10.2024, 12:29 Uhr.
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